Über die Komposition auf Haut
Wie Tattoos entstehen, wenn Körper, Emotion und Gestaltung zu einer Einheit werden.

Wenn ich beginne, ein Tattoo zu entwerfen, denke ich nicht zuerst an Linien oder Technik.
Ich denke an Bewegung.
Der Körper ist keine statische Fläche, sondern ein Raum, der lebt. Er dehnt sich, atmet, verändert sich mit jeder Geste. Ein Motiv, das auf Papier funktioniert, wirkt auf der Haut plötzlich ganz anders – weil es sich anpasst, mitgeht, sich mit der Anatomie verbindet.
Ich sehe den Körper als Teil der Komposition.
Die Form eines Arms, die Rundung einer Schulter, die Spannung eines Rückens – das alles sind Linien, die schon existieren, bevor ich selbst eine ziehe.
Ich versuche, diese natürlichen Strukturen aufzunehmen und sie weiterzuführen. Ein gutes Tattoo fühlt sich an, als wäre es schon immer dort gewesen. Bei größeren Motiven arbeite ich oft wie beim Komponieren eines Musikstücks. Es geht um Rhythmus, Flächen, Balance.
Manchmal braucht es einen starken Kontrast, manchmal einen Moment der Stille.
Ich verschiebe, verwerfe, drehe Motive um, bis sie in sich stimmig sind – nicht nur auf dem Bildschirm, sondern in der Bewegung des Körpers.
Und dann gibt es noch die andere Ebene: die emotionale.
Viele meiner Kund:innen bringen Themen mit, die mehr sind als ein ästhetischer Wunsch.
Da geht es um Erinnerungen, Übergänge, Abschiede, Neuanfänge. Manchmal kommen Menschen mit einer klaren Vorstellung, manchmal mit einem sehr vagen Gefühl. Dann entsteht zwischen uns ein stiller Dialog – über Symbole, über Formen, über das, was man nicht immer in Worte fassen kann.
Ich frage viel.
Was bedeutet dir das Motiv? Wie soll es sich anfühlen, wenn du es siehst?
Aus diesen Gesprächen wächst langsam eine visuelle Sprache. Nicht immer logisch, aber emotional stimmig.
Ich übersetze Emotionen in Linien und Formen – in etwas Sichtbares, das getragen werden kann.
Manchmal passiert aber auch das Gegenteil:
Ein Motiv findet
nicht durch Worte, sondern durch Resonanz zu einer Person.
Eines meiner Wannados – ein freier Entwurf ohne Auftrag – spricht jemanden an, ohne dass er oder sie genau sagen kann, warum. Vielleicht erinnert es an etwas Vergessenes, vielleicht löst es einfach ein Gefühl aus.
Ich erlebe das oft: Jemand sieht ein Wannado und sagt, „Das fühlt sich an, als hättest du es für mich gemacht.“
Und genau das ist für mich Kunst. Wie ein Bild in einem Museum, das man nicht erklären kann, aber das einen stillen, tiefen Ton im Inneren trifft.
Das ist der Teil, den ich am meisten liebe:
Wenn ein Tattoo nicht nur ein Bild ist, sondern eine Art Ausdruckshilfe. Etwas, das nach außen zeigt, was innen längst da ist. Jedes Tattoo entsteht bei mir als individuelle Komposition – ein Zusammenspiel aus Körper, Bewegung, Emotion und Form.
Und wenn alles passt, entsteht dieser leise Moment, in dem es sich richtig anfühlt.
Dann weiß ich: Das ist kein Motiv mehr. Das ist jetzt Teil dieses Menschen.
